DiGA-Update – Warum fast alle Pharma-Kooperationen scheitern

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Marcus Bergler ist Experte für Go-to-Market-Strategien im Life-Sciences-Bereich und hat in seinem Paper „The German DiGA Market from the Investor’s Perspective“ die Chancen und Herausforderungen des deutschen DiGA-Markts untersucht. Er bringt langjährige Erfahrung bei Unternehmen wie IQVIA und MEDKAP mit und beleuchtet, was den Markt für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) antreibt – und wo es hakt. Herzlich willkommen, Marcus Bergler.

Von Andrea Buzzi, Podcast-Host E-Health-Pioneers, 14. November 2024

Die aktuelle Lage des DiGA-Markts in Deutschland

Andrea Buzzi: Marcus, bist du eigentlich selbst DiGA-Nutzer?

Marcus Bergler: Persönlich nicht, aber meine Frau nutzt DiGAs. Das passt auch gut zu den Zahlen, die wir in unserer Marktanalyse festgestellt haben – Frauen nutzen DiGAs deutlich häufiger als Männer.

Andrea Buzzi: Gib uns doch bitte ein Update zur aktuellen Lage des DiGA-Markts in Deutschland.

Marcus Bergler: Momentan gibt es 55 gelistete DiGAs. Die meisten Nutzer:innen, nämlich 71 %, sind Frauen. Interessant ist, dass 89 % der DiGAs über Ärzt:innen verordnet werden, während nur 11 % von Patient:innen direkt beantragt werden. Laut dem GKV-Spitzenverband wurden bislang rund 374.000 DiGA-Rezepte eingelöst, wovon etwa 37.000 durch direkte Beantragung der Patient:innen zustande kamen.

 

Warum läuft der DiGA-Markt nicht wie erhofft?

Andrea Buzzi: Das zeigt, dass der Markt noch viel Potenzial hat. Wo siehst du aktuell die größten Hürden?

Marcus Bergler: Der größte Bremsklotz ist der umständliche Verordnungsprozess. Bis zu 70 % der DiGA-Verordnungen gehen verloren, bevor die Patient:innen tatsächlich mit der Therapie beginnen. Das liegt oft daran, dass der Weg vom Arzt zur Krankenkasse und dann zur tatsächlichen Nutzung der DiGA viel zu kompliziert ist.

Andrea Buzzi: Was müsste sich konkret ändern, damit es besser läuft?

Marcus Bergler: Ein vereinfachter, digitaler Verordnungsprozess, bei dem Patient:innen den Freischaltcode sofort nach der ärztlichen Verordnung erhalten, wäre ein großer Schritt nach vorne. Ideal wäre es, wenn Ärzt:innen mit den Patient:innen gemeinsam die DiGA-Therapie starten könnten. Das würde die Hürde für den Einstieg erheblich senken.

Andrea Buzzi: Es gibt das Vorurteil, dass Krankenkassen die Innovationen im DiGA-Bereich bremsen. Stimmt das?

Marcus Bergler: Dieses Narrativ ist weit verbreitet, aber oft ungerechtfertigt. Der Hauptverlust findet schon zwischen der Verordnung und der Einreichung des Rezepts statt. Natürlich gibt es Herausforderungen im Zusammenspiel mit Krankenkassen, aber die wirklichen Probleme liegen tiefer.

Mental-Health-DiGAs: Warum diese Kategorie dominiert

Andrea Buzzi: Warum dominieren gerade mentale Gesundheitsanwendungen den DiGA-Markt? Ist das die wirtschaftlich attraktivste Indikation?

Marcus Bergler: Mental-Health-Anwendungen treffen auf einen großen Bedarf. Sie bieten schnellen und spürbaren Nutzen für Patient:innen , sind gut adressierbar und oft auch leichter in den Alltag zu integrieren als physische Gesundheitslösungen. Gerade bei psychischen Erkrankungen kann der Zugang zu digitaler Unterstützung eine enorme Wirkung haben.

Andrea Buzzi: Viele Männer scheuen sich jedoch, über mentale Gesundheit zu sprechen oder solche Angebote zu nutzen. Warum?

Marcus Bergler: Frauen sind in der Regel gesundheitlich bewusster und auch aufgeschlossener für digitale Therapien. Das hat kulturelle und gesellschaftliche Hintergründe, die schwer zu ändern sind. Dennoch sehe ich in schambesetzten Indikationen wie Depressionen bei Männern langfristig viel Potenzial.

 

Fokus auf Verkauf statt nur Technik

Andrea Buzzi: Sind deutsche DiGA-Hersteller zu sehr auf die Technik fixiert und zu wenig auf den Verkauf?

Marcus Bergler: Ja, definitiv. Oft fehlen kommerziell orientierte Gründerteams. Die meisten Teams bestehen aus Ärzt:innen oder Softwareentwickler:innen – was gut für die Produktentwicklung ist, aber nicht zwangsläufig für den Vertrieb. Der Aufbau eines starken, marktorientierten Teams ist entscheidend für den Erfolg.

Andrea Buzzi: 89 % der DiGA-Verordnungen laufen über Ärzt:innen. Sind digitale Vertriebswege dann überhaupt der richtige Ansatz?

Marcus Bergler: Viele DiGA-Anbieter haben den Fehler gemacht, sich nur auf digitale Vermarktung zu verlassen, weil sie ein digitales Produkt haben. Dabei zeigt die Realität, dass ein gezielter Außendienst, der Ärzt:innen direkt anspricht, effektiver ist. Es braucht persönliche Gespräche und Vertrauen.

 

Wie DiGA-Anbieter Ärzt:innen besser erreichen können

Andrea Buzzi: Wie können DiGA-Hersteller Ärzt:innen gezielter ansprechen?

Marcus Bergler: Erfolgreiche Anbieter setzen auf spezialisierte Außendienstteams, die gezielt Ärzt:innen ansprechen. Kooperationen mit Pharmaunternehmen haben meist nur dann funktioniert, wenn beide Seiten das Geschäft ernsthaft betreiben wollten. Gute Beispiele sind die Zusammenarbeit von GAIA und Servier. Leider bleiben solche Kooperationen die Ausnahme.

Andrea Buzzi: Was machen viele Anbieter falsch?

Marcus Bergler: Viele versuchen, Ärzt:innen mit einer Art „Massenansprache“ zu erreichen. Sie setzen auf Kongresse, E-Mail-Marketing und Online-Werbung, um möglichst viele potenzielle Kontakte zu generieren. Das führt oft dazu, dass Außendienstmitarbeiter:innen viel Zeit mit uninteressierten Praxen verschwenden.

 

Konsolidierung: Wohin steuert der Markt?

Andrea Buzzi: Du siehst eine Konsolidierung des DiGA-Markts als unausweichlich. Was bedeutet das konkret?

Marcus Bergler: Konsolidierung ist positiv, da sie stabilere Strukturen schaffen kann. Anbieter mit komplementären Portfolios, die sich zusammenschließen, bieten Ärzt:innen und Patient:innen ein umfassenderes Angebot und können wirtschaftlicher agieren. Statt fünf Anbieter, die jeweils für eine kleine Indikation Lösungen haben, könnte ein starker Anbieter mehrere Bedürfnisse abdecken.

Andrea Buzzi: Was müssen DiGA-Anbieter künftig anders machen, um zu überleben?

Marcus Bergler: Sie müssen ihre Go-to-Market-Strategien überdenken, die Teamzusammensetzung optimieren und klare Indikationen bedienen. Ein kommerziell orientiertes Mindset ist essenziell, um langfristig am Markt bestehen zu können.

 

Zukunft der DiGA-Preise und neue Herausforderungen

Andrea Buzzi: Wie sieht die Zukunft der DiGA-Preise aus?

Marcus Bergler: Die Preisdynamik bleibt herausfordernd. Preisverhandlungen könnten weiter Druck ausüben, weshalb es für Anbieter umso wichtiger ist, nachhaltig profitabel zu arbeiten.

Andrea Buzzi: Vielen Dank, Marcus, für das spannende Gespräch und deine Einblicke!

Marcus Bergler: Vielen Dank, dass ich dabei sein durfte.

 

Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview beruht auf dem Podcast-Interview #115: DiGA-Update – Warum fast alle Pharma-Kooperationen scheitern vom 14. November 2024, produziert von der PR-Agentur The Medical Network.