Die Treiberinnen der digitalen Gesundheit
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Dr. med. Alexandra Widmer ist eine Pionierin im Bereich Digital Health. Als Neurologin und Psychotherapeutin mit über 20 Jahren klinischer Erfahrung bringt sie ein tiefes Verständnis für die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen mit. Sie ist Host des Podcasts „docsdigital“ und berät Ärzt:innen und Unternehmen zu digitalen Gesundheitsanwendungen. Alexandra Widmer zeigt eindrucksvoll, wie digitale Technologien den Zugang zu medizinischer Versorgung verbessern können, besonders für Menschen, die bisher durch das traditionelle Gesundheitssystem nicht ausreichend erreicht werden.
Von Andrea Buzzi, Podcast-Host E-Health-Pioneers, 23. November 2023
Digitalisierung im Gesundheitswesen: Ein Balanceakt zwischen Innovation und Praxis
Andrea Buzzi: Alexandra, wie steht es um die Digitalisierung im Gesundheitswesen? Was sind die größten Hürden, die wir noch überwinden müssen?
Dr. Alexandra Widmer: Die Digitalisierung schreitet voran, aber es gibt viele Hürden, die den Fortschritt bremsen. Zum einen fehlt es oft an der notwendigen Infrastruktur und Finanzierung, um digitale Lösungen flächendeckend zu implementieren. Zum anderen stehen wir vor kulturellen Barrieren: Viele Kolleg:innen sind unsicher im Umgang mit neuen Technologien oder haben schlichtweg Angst vor der Veränderung. Hinzu kommt, dass sich viele Ärzt:innen überfordert fühlen, weil sie im hektischen Alltag kaum Zeit finden, sich mit neuen digitalen Tools auseinanderzusetzen. Das ist eine riesige Herausforderung, die wir angehen müssen – und das betrifft nicht nur die Technologie, sondern auch die Menschen, die sie anwenden sollen.
Andrea Buzzi: Was kann getan werden, damit die Digitalisierung in der Medizin schneller vorankommt?
Dr. Alexandra Widmer: Zunächst einmal müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Es braucht politische Unterstützung und Investitionen, um den Zugang zu moderner Technologie in Kliniken und Praxen zu ermöglichen. Gleichzeitig ist es essenziell, die Menschen im Gesundheitswesen mitzunehmen. Wir müssen mehr Schulungen und Fortbildungen anbieten, um die digitale Kompetenz der Ärzt:innen und Pflegekräfte zu stärken. Denn letztlich funktioniert jede neue Technologie nur so gut, wie sie auch von den Menschen verstanden und genutzt wird. Und die Akzeptanz wächst, wenn der Nutzen erkennbar ist – zum Beispiel durch konkrete Erleichterungen im Alltag oder eine Verbesserung der Patientenversorgung.
Wer treibt die Digitalisierung voran?
Andrea Buzzi: Wer treibt eigentlich die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran – sind es die Patient:innen, die Ärzt:innen oder die politischen Entscheidungsträger?
Dr. Alexandra Widmer: Es gibt viele verschiedene Treiber. Einerseits sind es die Patient:innen, die zunehmend digitale Lösungen fordern, etwa durch Apps zur Überwachung ihrer Gesundheit oder den Wunsch nach telemedizinischer Betreuung. Andererseits sind Ärzt:innen und Pflegekräfte wichtige Akteure, weil sie die Technologie im Alltag einsetzen müssen. Ohne ihre Unterstützung wird es keine erfolgreiche Transformation geben. Die Politik hat dabei eine zentrale Rolle, indem sie die nötigen rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen schafft. Es ist also eine Zusammenarbeit aller Akteure notwendig – Patienten, Leistungserbringer und Politik müssen gemeinsam vorangehen.
Woran erkennt man eine moderne Arztpraxis?
Andrea Buzzi: Woran erkennen Patient:innen eigentlich moderne Arztpraxen? Welche digitalen Tools gehören heute in jede Praxis?
Dr. Alexandra Widmer: Eine moderne Praxis sollte auf jeden Fall digitale Anamnese-Tools nutzen, um die Patienten schon vor ihrem Termin optimal vorzubereiten. Das spart nicht nur Zeit, sondern verbessert auch die Effizienz der Behandlung. Tools wie Idana oder Nelly Solutions ermöglichen es, relevante Informationen zu sammeln, bevor der Patient in die Praxis kommt. Darüber hinaus sollten digitale Gesundheitsanwendungen Teil der Praxisroutine sein. Diese helfen, die Patient:innen besser in ihre Therapie einzubinden und sorgen für eine individuellere und langfristigere Betreuung. Die Zukunft liegt in der Partnerschaft zwischen Patient:innen und Ärzt:innen, unterstützt durch digitale Technologien.
Angst vor der Digitalisierung
Andrea Buzzi: Wer hat mehr Angst vor der Digitalisierung – die Ärzt:innen oder die Patient:innen?
Dr. Alexandra Widmer: Ich würde sagen, dass beide Gruppen ihre Ängste haben, aber aus unterschiedlichen Gründen. Bei den Ärzt:innen ist es oft die Angst vor dem Unbekannten oder die Sorge, dass Technologie sie in ihrer Rolle ersetzen könnte. Bei den Patient:innen sind es eher Bedenken bezüglich des Datenschutzes und der Frage, ob sie die Kontrolle über ihre Daten behalten. Hier müssen wir Aufklärung leisten und zeigen, dass Digitalisierung nicht bedeutet, den menschlichen Faktor zu verlieren, sondern ihn zu ergänzen und zu stärken.
Die Rolle des Podcasts in der Gesundheitskommunikation
Andrea Buzzi: Du bist auch Host eines Podcasts. Wie wichtig sind Podcasts, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzubringen?
Dr. Alexandra Widmer: Podcasts sind ein wunderbares Medium, um Wissen zu vermitteln und Diskussionen anzustoßen. Sie bieten die Möglichkeit, komplexe Themen wie die Digitalisierung verständlich aufzubereiten und ein breites Publikum zu erreichen – egal ob Fachleute oder interessierte Laien. Ich nutze meinen Podcast, um praktische Tipps zu geben, Ängste abzubauen und den Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen zu fördern. Es geht darum, die Digitalisierung greifbar zu machen und zu zeigen, wie sie das Leben aller verbessern kann.
Zukunft der Digitalisierung im Gesundheitswesen
Andrea Buzzi: Was ist dein Wunsch für die Zukunft der Digitalisierung im Gesundheitswesen?
Dr. Alexandra Widmer: Ich wünsche mir, dass wir in den nächsten Jahren eine flächendeckende digitale Infrastruktur in Kliniken und Praxen haben, die effizient und anwenderfreundlich ist. Aber vor allem wünsche ich mir, dass wir die digitale Kompetenz der Menschen im Gesundheitswesen massiv ausbauen. Das beginnt in der Ausbildung und geht bis hin zur kontinuierlichen Fortbildung im Berufsleben. Nur so können wir sicherstellen, dass die Digitalisierung nicht als Belastung empfunden wird, sondern als Chance, die Versorgung nachhaltig zu verbessern. Und mein großer Wunsch ist, dass wir wieder mehr Zeit für das Wesentliche haben: die direkte und menschliche Interaktion mit den Patient:innen.
Andrea Buzzi: Vielen Dank, Alexandra, für deine spannenden Einblicke und das inspirierende Gespräch.
Dr. Alexandra Widmer: Vielen Dank, Andrea.
Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview beruht auf dem Podcast-Interview #108: Tooltipps für Arztpraxen vom 01. August 2024, produziert von der PR-Agentur The Medical Network.