Wie die Techniker Krankenkasse digitale Innovationen in die Regelversorgung bringt
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Klaus Rupp ist seit 38 Jahren bei der Techniker Krankenkasse tätig. Seit 2008 verantwortet er den Bereich Versorgungsmanagement und ist federführend für die Entwicklung und Umsetzung der elektronischen Patientenakte (ePA) zuständig. Zudem leitet er das TK-Innovationsportal und gilt als eine der zentralen Figuren der digitalen Transformation im deutschen Krankenkassensystem. Herzlich willkommen, Klaus Rupp.
Von Andrea Buzzi, Podcast-Host E-Health-Pioneers, 05. Juni 2025
Digitale Versorgung: ePA, Akzeptanz und erster Erfolg
Andrea Buzzi: Klaus, du bist bei der TK für die ePA zuständig – wie läuft der bundesweite Rollout?
Klaus Rupp: Wir sind seit kurzem bundesweit live – und es läuft überraschend gut. Über 70.000 Versicherte nutzen die elektronische Patientenakte aktiv. Besonders beliebt ist aktuell die Medikationsliste – ein echtes Aha-Erlebnis für viele Ärzte, weil sie sofort sehen können, was ihre Patient:innen einnehmen. Auch Befund- und Arztberichte werden zunehmend hochgeladen. In der Testphase war die Zurückhaltung groß, aber jetzt beobachten wir einen deutlichen Anstieg an Daten.
Andrea Buzzi: Wie viele haben der ePA aktiv widersprochen?
Klaus Rupp: Aktuell etwa 7 Prozent. Das ist weit weniger, als viele befürchtet haben – gerade im Vergleich zu den Ängsten, dass über die Hälfte ablehnen würden.
Andrea Buzzi: Spürt ihr schon einen echten Kulturwandel bei den Versicherten hin zum „Smart Patient“?
Klaus Rupp: Ja, durchaus. Über die Hälfte unserer Versicherten nutzt bereits die TK-App – das zeigt eine hohe digitale Affinität. Viele konfigurieren sich aktiv Impf- und Vorsorgeerinnerungen. Die digitale Identität ist dabei aber nach wie vor eine Hürde – PostIdent-Verfahren sind aufwendig, und auch der elektronische Personalausweis wird nicht flächendeckend genutzt. Aber das ändert sich langsam.
TK-Innovationsportal: Der strukturierte Weg in die Versorgung
Andrea Buzzi: Du verantwortest das TK-Innovationsportal. Was genau ist das?
Klaus Rupp: Das Portal bündelt alle externen Innovationsangebote für die TK. Startups und Unternehmen können dort ihre Ideen einreichen – strukturiert, digital und effizient. Wir erhalten rund 500 Einreichungen pro Jahr. Innerhalb von zwei Wochen gibt es eine erste Rückmeldung, ob und wie es weitergeht.
Andrea Buzzi: Was sind aktuell die großen Trends unter den Einreichungen?
Klaus Rupp: KI ist omnipräsent – nahezu jede zweite Idee hat einen KI-Bezug. Daneben sehen wir viel im Bereich Selbstmanagement, digitales Coaching und Verhaltenstherapie. Fachlich besonders stark vertreten sind chronische Erkrankungen wie Diabetes, Herzinsuffizienz und psychische Erkrankungen – vor allem im Kontext hybrider Versorgung.
Selektivverträge: Chancen, Hürden und Erfolgsfaktoren
Andrea Buzzi: Selektivverträge gelten oft als Königsweg für Startups. Wie schwer ist es, mit der TK so einen Vertrag abzuschließen – auf einer Skala von 0 (leicht) bis 10 (fast unmöglich)?
Klaus Rupp: Ich würde sagen: 8. Es ist anspruchsvoll. Wir brauchen ein zugelassenes Medizinprodukt, einen belastbaren Businessplan, technische und organisatorische Infrastruktur sowie klare Datenschutzstandards. Es muss skalierbar und verlässlich für über 12 Millionen Versicherte umsetzbar sein.
Andrea Buzzi: Wie sieht der typische Ablauf aus – vom Pitch bis zur Umsetzung?
Klaus Rupp: Für kleine Pilotprojekte kann es in drei bis sechs Monaten losgehen. Bei einem vollumfänglichen Selektivvertrag dauert es meist etwa ein Jahr, bis das Produkt in der Versorgung ist – inklusive aller technischen Anbindungen und Datenschutzprüfungen.
Andrea Buzzi: Ihr habt bereits Verträge mit Apps wie NEOLEXON (logopädisches Training), SLEEP² (digitale Schlaftherapie) und der Migräne-App in Zusammenarbeit mit der SCHMERZKLINIK KIEL abgeschlossen. Was war bei diesen Kooperationen entscheidend?
Klaus Rupp: In der Regel der starke medizinische Partner im Hintergrund. Bei der Migräne-App etwa war die Kooperation mit der Schmerzklinik Kiel zentral. Sie garantiert leitliniengerechte Inhalte und den Anschluss an die Regelversorgung. Bei SLEEP² geht es um evidenzbasiertes Verhaltenstraining, ergänzt durch Tagebuch-Features – ein Thema, das lange vernachlässigt wurde, aber für die Gesundheit essenziell ist.
DiGA oder Selektivvertrag: Was ist der bessere Weg?
Andrea Buzzi: Welchen Weg empfiehlst du Gründern: DiGA-Zulassung oder Selektivvertrag?
Klaus Rupp: Das hängt von der Zielsetzung ab. Ein Selektivvertrag ist oft schneller umsetzbar, aber auch anspruchsvoller. Die DiGA-Zulassung öffnet den Weg in die Regelversorgung – mit allen Vor- und Nachteilen. Viele DiGAs scheitern am Preis oder der Evidenz. Ein nachhaltiges Modell braucht medizinische Qualität, wirtschaftliche Tragfähigkeit und technische Skalierbarkeit.
Andrea Buzzi: Was sind die drei größten KO-Kriterien bei einer Bewerbung bei euch?
Klaus Rupp:
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Kein zugelassenes oder qualitativ unzureichendes Medizinprodukt.
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Kein nachvollziehbarer Businessplan.
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Fehlende technische Infrastruktur, insbesondere bei Datenschutz und Schnittstellen-Standards.
Andrea Buzzi: Und was sind Pluspunkte?
Klaus Rupp: Partnerschaften mit etablierten medizinischen Einrichtungen, hybride Versorgungskonzepte, klare Nutzenhypothesen. Und: Wer unsere offenen Ausschreibungen auf TED.EUROPA.EU und auf unserer Website verfolgt, kann gezielt auf uns zugehen.
Prävention, Versorgung und der Paradigmenwechsel
Andrea Buzzi: Du hast gesagt: „Digital vor ambulant vor stationär.“ Das klingt nach einem neuen Versorgungscredo?
Klaus Rupp: Genau. Das bisherige „ambulant vor stationär“ greift zu kurz. Wenn wir die Versorgung zukunftsfähig gestalten wollen, müssen wir digital beginnen. Dafür braucht es intelligente Triage-Modelle, KI-gestützte Entscheidungshilfen und personalisierte Versorgung. Unser Ziel: gezielter Zugang, bessere Steuerung – gerade in Zeiten knapper Ressourcen.
Andrea Buzzi: Wie steht es um Prävention? Wird sie zu wenig berücksichtigt?
Klaus Rupp: Prävention ist enorm wichtig, aber schwer messbar. Wir investieren viel in digitale Präventionsangebote – von Ernährung über Bewegung bis Stressmanagement. Nur: Man kann den langfristigen Nutzen nicht sofort in Euro beziffern, und genau das macht es politisch und wirtschaftlich schwierig.
Andrea Buzzi: Und wie informiert ihr Ärzte über DiGAs?
Klaus Rupp: Wir binden DIGA-Informationen in Praxisverwaltungssysteme (PVS) ein, machen gezielte Kooperationen und informieren unsere Versicherten personalisiert über TK-App und Newsletter. Das ist noch ausbaufähig, aber es passiert viel. Laut aktuellen Umfragen kennen inzwischen über 80 % der Ärzt:innen mindestens eine DiGA.
Fazit und Ausblick: Versorgung 2030
Andrea Buzzi: Wo steht Deutschland 2030 beim Thema digitale Versorgung – führen wir dann noch Pilotprojekte?
Klaus Rupp: Hoffentlich nicht. Unser Ziel ist es, digitale Lösungen fest in der Regelversorgung zu verankern – nicht als Projekt, sondern als Standard. Ohne Digitalisierung werden wir den Versorgungsbedarf langfristig nicht mehr decken können.
Andrea Buzzi: Und worauf sollten Startups achten, wenn sie bei euch pitchen wollen?
Klaus Rupp: Sie sollten unsere Struktur verstehen, ihre Hausaufgaben machen und nicht nur eine gute Idee, sondern auch ein belastbares Setup mitbringen. Wer das tut, hat bei uns eine faire Chance – auch wenn es herausfordernd ist. Aber genau dafür gibt es das Innovationsportal.
Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview beruht auf dem Podcast-Interview #128: Wie Start-ups mit der TK bonden vom 05. Juli 2025, produziert von der PR-Agentur The Medical Network.