VC im Healthcare Markt funktioniert nicht

Luisa Wasilewski ist Gründerin und Geschäftsführerin der Strategieberatung Pulsewave. Sie ist Digital Health-Expertin, Autorin von „Digitaler Puls“, engagiert sich als Vorständin bei bitkom für digitale Gesundheit und begleitet Akteure im Gesundheitswesen mit der Future Health Academy bei der Einführung von KI und digitalen Lösungen. Willkommen, Luisa Wasilewski.

Von Andrea Buzzi, 29. Oktober 2025

Tal der Tränen verlassen: Warum 2025 endlich Aufbruch signalisiert

Andrea Buzzi: Luisa, du beobachtest den Digital Health-Markt seit Jahren sehr intensiv. Was macht ihn aktuell so besonders?

Luisa Wasilewski: Wir sind 2025 endlich an einem Wendepunkt angekommen. Nach drei sehr harten Jahren voller Unsicherheit, Pleiten und Frustration sehen wir jetzt eine klare Marktbelebung. Große Finanzierungsrunden – wie etwa AMBOSS mit 259 Millionen Euro, Nelly mit 52 Millionen oder Avelios mit 31 Millionen – haben ein Ausrufezeichen gesetzt. Aber klar ist auch: Diese Runden wurden schon 2024 vorbereitet, die Welle kommt also nicht über Nacht. Es ist eine Phase der Konsolidierung, aber eben auch eine, in der Mut und Weitsicht wieder belohnt werden.

Andrea Buzzi: Das klingt ermutigend – also raus aus dem Tal der Tränen?

Luisa Wasilewski: Absolut. Die letzten Jahre waren hart – viele gute Start-ups haben den Markt verlassen oder wurden günstig übernommen, oft kurz vor oder mitten in der MDR-Zertifizierung. Das zeigt, wie brutal die Realität im Digital Health sein kann, wenn Investorenlogik und Gesundheitslogik nicht zueinanderpassen. 2025 sehen wir endlich wieder neue Fonds, aktivere VCs und eine neue Generation von Gründer:innen, die mit den richtigen Lehren an den Start gehen.

Start-ups, überlegt euch gut, ob ihr mit VCs arbeitet!

Andrea Buzzi: Du sagst selbst, dass klassische VC-Logiken im Gesundheitswesen oft nicht greifen. Warum ist das so?

Luisa Wasilewski: Weil das Geschäftsmodell „schnell skalieren, MVP testen, Exit nach 3–5 Jahren“ einfach nicht zu regulierten Märkten passt. Im Digital Health-Bereich braucht es medizinische Evidenz, MDR-Zertifizierungen, Studien – und vor allem Vertrauen. Das alles dauert Jahre. Klassische VC-Investoren haben aber oft KPI-Ziele aus dem FinTech oder eCommerce-Bereich im Kopf – und das kann gefährlich werden. Wenn Start-ups versuchen, diese KPIs zu erfüllen, verbrennen sie entweder zu schnell ihr Kapital oder verlieren den Fokus auf echte Versorgungseffekte.

Andrea Buzzi: Was rätst du Gründer:innen in dieser Situation?

Luisa Wasilewski: Überlegt euch gut, ob ihr euch einen VC an Bord holen wollt – und wenn ja, welchen. Wir brauchen eine neue Art von Investoren: Spezialisten, die das Gesundheitswesen verstehen, die Geduld mitbringen und aktiv mitarbeiten. Ich denke, da braucht es einen hybriden Ansatz zwischen Venture Capital und Private Equity. Ich arbeite gerade selbst an einem neuen Modell, das genau diese Lücke füllen soll.

Die KI-Welle wird gesurft – aber nur wenige können schwimmen

Andrea Buzzi: KI scheint das große Trendthema zu sein – gerade im Bereich medizinische Dokumentation. Was ist dran an diesem Hype?

Luisa Wasilewski: Die KI-Welle ist real, aber nicht jede Welle trägt. Gerade sogenannte „Scribe-Modelle“ wie Nabla oder Tandem Health ziehen viel Kapital an, weil sie ein echtes Problem lösen: Zeitverlust durch manuelle Dokumentation. Studien zeigen, dass Pflegekräfte bis zu zwei Drittel ihrer Zeit mit Doku verbringen. Wenn KI das halbieren kann, wäre das ein Gamechanger. Aber: Die Refinanzierung ist nicht trivial. Diese Tools werden in der Regel nicht erstattet, Kliniken und Praxen müssen sie aus ihrem EBIT finanzieren – und das ist knapp.

Andrea Buzzi: Ist das also nur ein Zwischenschritt?

Luisa Wasilewski: Vielleicht. Es ist aber ein notwendiger. Gleichzeitig sehe ich viel Überhitzung. Viele Fonds suchen aktuell KI-Themen, um Geld zu platzieren. Aber nicht jedes Start-up wird überleben. Wer es nicht schafft, tiefer in die Klinikprozesse zu integrieren – also z.B. in KIS- oder ERP-Systeme –, wird es schwer haben.

Pharma sucht nach der Beyond-the-Pill-Strategie

Andrea Buzzi: Welche Rolle spielt Pharma in dieser neuen Digital-Health-Welt?

Luisa Wasilewski: Eine ambivalente. Pharmaunternehmen haben in den letzten Jahren einige DiGA-Start-ups übernommen – oft günstig aus der Insolvenz. Aber was dann passiert ist, ist häufig enttäuschend. Viele dieser Lösungen liegen heute brach. Dabei gäbe es so viele Chancen – etwa bei der Adhärenzförderung oder in der Direktansprache chronisch Kranker. Stichwort: Direct-to-Patient-Marketing – siehe die Erfolgswelle der Abnehmspritzen. Aber: Die echten Beyond-the-Pill-Geschäftsmodelle sind noch rar. Das Interesse ist da, aber die Umsetzung fehlt.

Go Go Go Femtech – und endlich auch Care-Economy!

Andrea Buzzi: Welche Bereiche siehst du derzeit mit besonders großem Potenzial?

Luisa Wasilewski: Ganz klar: Frauengesundheit (FemTech) boomt. 2024 und 2025 wurden mehr Unternehmen in dem Bereich gegründet als je zuvor. Aber auch Männergesundheit, Pflege und die Care-Economy rund um Angehörige gewinnen stark an Relevanz. Start-ups wie Alba Health zeigen, dass man mit smarten, empathischen Lösungen echte Versorgungslücken schließen kann. Es geht nicht nur um Technologie – es geht um Entlastung, Empowerment und Zugänglichkeit.

Longevity ist Prävention in der Business Class

Andrea Buzzi: Es scheint sich ein starker Selbstzahlermarkt zu entwickeln. Ist das die neue Gesundheitsrealität?

Luisa Wasilewski: Ja – aber mit Schattenseiten. Immer mehr Menschen zahlen privat für Prävention, Diagnostik oder Longevity-Programme. Ich selbst teste regelmäßig mein Mikrobiom oder meine Biomarker. Aber das kann sich nicht jede:r leisten. Longevity ist Prävention in der Business Class – das ist ein treffender Ausdruck. Der Markt wird wachsen, aber wir müssen aufpassen, dass wir keine Zwei-Klassen-Medizin fördern. Gleichzeitig wird die GKV perspektivisch weiter Leistungen streichen – daher ist dieser Markt nicht nur eine Luxuserscheinung, sondern eine notwendige Antwort auf Versorgungslücken.

Series A, validierte Geschäftsmodelle und die Realität

Andrea Buzzi: Euer Q2-Report zeigt: Investiert wird vor allem in Unternehmen mit validierten Geschäftsmodellen. Was bedeutet das für Innovation?

Luisa Wasilewski: Es ist ein Reifungszeichen – aber auch eine Warnung. Klar ist: Investoren haben aus der DiGA-Welle gelernt. Wer heute Geld will, braucht Nachweise, Traktion, MVP, bestenfalls Umsatz. Aber das schließt viele mutige Ideen von vornherein aus. Wir brauchen unbedingt auch Investoren, die sich in die Frühphase trauen – mit gesundem Menschenverstand und Marktkenntnis. Der Fokus darf nicht nur auf Skalierung liegen, sondern auf echten Versorgungseffekten.

Standort Deutschland: Widersprüche und Chancen

Andrea Buzzi: Was sind Deutschlands Stärken – und was unsere größten Schwächen?

Luisa Wasilewski: Deutschland ist einer der größten Gesundheitsmärkte weltweit. Wir haben ein stabiles System, viel Fachwissen, und hohe Ausgaben. Aber: Die Regulierung ist extrem komplex, die Innovationsgeschwindigkeit oft quälend langsam. Die GKV ist finanziell am Limit, Krankenkassen verschwinden oder fusionieren. Gleichzeitig kommen jetzt wieder internationale Player nach Deutschland – weil hier noch viel möglich ist. Das ist die Chance.

VC-ready? Nur mit klarer Strategie!

Andrea Buzzi: Woran erkennst du, ob ein Start-up VC-ready ist?

Luisa Wasilewski: Ein VC-ready-Start-up im Healthcare braucht mehr als Vision: Es braucht validierte Geschäftsmodelle, eine klare Regulierungsperspektive, evidenzbasierte KPIs – und ein realistisches Verständnis von Marktzugängen. Bei PULSEWAVE unterstützen wir Start-ups und Investoren dabei, genau diese Lücken zu schließen. Und wie gesagt: Nicht jedes gute Start-up braucht einen VC – manchmal ist Bootstrapping oder ein strategischer Partner die bessere Wahl.

Zum aktuellen Marktreport Q3 geht es hier: https://www.pulsewave.digital/reports#section_reports