So geht Telemedizin in der Praxis

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Julian Simon ist Geschäftsführer der TeleClinic, einer der führenden Telemedizin-Plattformen in Deutschland. Dr. Stefan Spieren ist Hausarzt im Sauerland und Digital Health-Pionier, der digitale Tools aktiv in seiner Praxis einsetzt – von der Online-Terminbuchung bis zur KI-gestützten Dokumentation. Gemeinsam geben sie einen fundierten Einblick in Chancen und Herausforderungen der telemedizinischen Versorgung.

Von Andrea Buzzi, Podcast-Host E-Health-Pioneers, 27. Februar  2025

Telemedizin im ärztlichen Alltag: Ergänzung statt Ersatz

Andrea Buzzi: Stefan, wie fühlt man sich als Telemediziner?

Dr. Stefan Spieren: Niemand studiert Medizin, um den ganzen Tag nur auf Bildschirme zu schauen. Telemedizin ist für mich eine wertvolle Ergänzung – besonders bei Rezepten, Krankschreibungen oder leichten Infekten. Aber ich brauche auch echten Kontakt zu Menschen. Die Zukunft liegt im „Blended Modell“ – also der Kombination aus digitaler und persönlicher Behandlung.

Andrea Buzzi: Wie setzt ihr das konkret in eurer Praxis um?

Dr. Stefan Spieren: Wir haben feste Videozeiten – sowohl für Stamm- als auch für neue Patient:innen über TeleClinic. Ich kann mir flexibel aussuchen, wann ich digital arbeite, zum Beispiel abends. Auch meine Frau nutzt das – sie ist Ärztin und betreut tagsüber unsere Kinder. Das bringt uns mehr Flexibilität im Alltag.

Klare Prozesse und feste Strukturen: So funktioniert TeleClinic

Andrea Buzzi: Julian, wie genau funktioniert TeleClinic?

Julian Simon: Über unsere App wählen Patient:innen ihr Anliegen aus, füllen einen digitalen Fragebogen aus und bekommen meist noch am selben Tag eine Videosprechstunde. Wir arbeiten ausschließlich mit in Deutschland zugelassenen Ärzt:innen. Und: 82 % der Anliegen können komplett digital gelöst werden – das spart Zeit und Ressourcen.

Andrea Buzzi: Habt ihr dafür standardisierte Behandlungspfade?

Julian Simon: Ja. Für viele Krankheitsbilder – z. B. Erkältung, Bluthochdruck oder Schilddrüsenerkrankungen – gibt es klare Algorithmen. Nach der Behandlung fragen wir, ob das Problem gelöst wurde oder doch ein Arztbesuch nötig war. Dieses Feedback hilft uns, die Pfade stetig zu verbessern.

Versorgung im ländlichen Raum: Wie Telemedizin Lücken schließt

Andrea Buzzi: In vielen ländlichen Regionen fehlen Ärzt:innen. Was kann Telemedizin hier leisten?

Julian Simon: Sie ermöglicht Versorgung über Entfernungen hinweg. Ein Arzt in Hamburg kann einen Patienten in der Uckermark behandeln – gerade dort, wo es kaum Termine vor Ort gibt. 70 % unserer Nutzer:innen haben keinen festen Hausarzt.

Dr. Stefan Spieren: Genau – viele Menschen wollen für einfache Anliegen gar nicht mehr in die Praxis. Und ältere Patient:innen sind viel offener für digitale Angebote als man denkt – sie nutzen längst Videotelefonie mit ihren Enkeln.

Arzt-Patienten-Beziehung: Funktioniert Vertrauen auch digital?

Andrea Buzzi: Wie verändert Telemedizin das Verhältnis zu den Patient:innen?

Dr. Stefan Spieren: Es ist anders – aber nicht schlechter. Die meisten wissen, wann digitale Beratung reicht und wann sie lieber persönlich kommen. Bei einfachen Anliegen ist die Videosprechstunde völlig ausreichend.

Julian Simon: Viele möchten vor allem schnelle Hilfe – persönliche Kontinuität ist nicht immer das Wichtigste. Bei klaren Beschwerden zählt vor allem die Problemlösung.

Vergütung und Regelungen: Was Ärzt:innen ausbremst

Andrea Buzzi: Rechnet sich Telemedizin für Ärzt:innen?

Dr. Stefan Spieren: Leider nur begrenzt. Ich darf nur ein Drittel meiner Fälle digital abrechnen – danach gibt’s kein Geld mehr. Das bremst Innovation. Wir brauchen dringend neue Vergütungsmodelle.

Julian Simon: Das Digitalgesetz hat bereits Verbesserungen gebracht – etwa Homeoffice für Ärzt:innen. Aber wir brauchen mehr Spielraum, weniger Bürokratie und mehr Flexibilität.

Blick in die Zukunft: Gatekeeper-Modelle, EPA und KI

Andrea Buzzi: Die Schweiz nutzt ein Gatekeeper-Modell. Wäre das auch etwas für Deutschland?

Julian Simon: Solche Modelle sollten wir zumindest testen – zum Beispiel über spezielle Krankenkassentarife. Viele Patient:innen wären bereit, dafür auf schnelleren Zugang zu setzen. Wichtig ist, dass es fair und transparent abläuft.

Andrea Buzzi: Stefan, welche digitalen Tools nutzt ihr – und was fehlt dir noch?

Dr. Stefan Spieren: Wir arbeiten mit Voicebots, Online-Terminbuchung, KI-gestützter Dokumentation und einem Avatar-System zur Erstsortierung. Neu ist ein Avatar, der Laborwerte in der elektronischen Patientenakte erklärt – so nehmen wir Patient:innen die Angst vor unverständlichen Befunden.

Andrea Buzzi: Julian, wohin entwickelt sich die Technologie?

Julian Simon: Die EPA wird ein riesiger Schritt. Auch Diagnostik per Kamera und KI wird kommen – ich habe ein System getestet, das Vitalwerte über Gesichtsanalyse misst. Es war erstaunlich genau. Auch sprach- und bewegungsbasierte Diagnostik, etwa für Parkinson, wird sich weiterentwickeln.

Fazit: Telemedizin ist gekommen, um zu bleiben

Andrea Buzzi: Ist Telemedizin nur eine Ergänzung – oder die Zukunft der Gesundheitsversorgung?

Dr. Stefan Spieren: Für mich ist sie heute schon fester Bestandteil – aber kein Ersatz für persönliche Gespräche. Beides zusammen ergibt die beste Versorgung.

Julian Simon: Telemedizin schafft Zugang, entlastet Ärzt:innen und steigert Effizienz. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann sie wirklich helfen, dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Andrea Buzzi: Vielen Dank für eure Zeit und die spannenden Einblicke! Klar ist: Telemedizin ist weit mehr als ein Trend – sie ist ein nachhaltiger Teil eines modernen Gesundheitssystems.

 

Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview beruht auf dem Podcast-Interview #121: So geht Telemedizin in der Praxis vom 27. April 2025, produziert von der PR-Agentur The Medical Network.