GenAI und das Krankenhaus der Zukunft
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Dr. Anita Puppe ist Ärztin und Client Partner bei IBM iX. Sie bezeichnet sich selbst als Bindeglied zwischen Medizin und Technologie und forscht an der Schnittstelle von GenAI und Quantencomputing. Mit ihrer Arbeit an IBM Healthcare und IBM iX ist sie an der Entwicklung von Smart Hospitals und neuen digitalen Lösungen im Gesundheitsbereich beteiligt. Heute spricht sie über den Einsatz von Generative AI im Gesundheitswesen und die Vision des Krankenhauses der Zukunft.
Von Andrea Buzzi, Podcast-Host E-Health-Pioneers, 25. April 2024
Ärztliche Diagnose oder Generative AI?
Andrea Buzzi: Anita, AI oder Arzt? Was wäre dir lieber, wenn es wirklich drauf ankommt?
Dr. Anita Puppe: Ganz klar, AI! Ich sage bei Vorträgen oft, dass ich gar keine Diagnose mehr ohne AI haben möchte. AI bietet rund um die Uhr Verfügbarkeit, und Studien zeigen, dass Patient:innen eine AI oft als freundlicher empfinden, weil sie ganz ohne Zeitdruck eine enorm große Datenbasis nutzen kann, um präzise Diagnosen zu erstellen. Die Kombination von Arzt und AI könnte die medizinische Versorgung wirklich revolutionieren.
Andrea Buzzi: In der Medizin sprechen wir immer noch von der „Warmen Medizin der menschlichen Hände.“ Fehlt das bei einer AI nicht?
Dr. Anita Puppe: Die Sorge, dass Maschinen Ärzte ersetzen könnten, gibt es ja schon länger. Aber Ärzte werden nicht durch AI ersetzt, sie werden durch sie unterstützt. Die AI kann dabei helfen, bürokratische Aufgaben wie Dokumentation zu übernehmen. Dadurch gewinnen Ärzt:innen Zeit und können intensiver mit den Patient:innen sprechen – also auch mal fragen, wie es ihnen geht und nicht nur, was sie haben.
KI versus GenAI: Was ist der Unterschied?
Andrea Buzzi: Kannst du uns den Unterschied zwischen klassischer KI und Generative AI erklären?
Dr. Anita Puppe: Generative AI ist speziell darauf ausgelegt, neue Inhalte zu generieren – sei es Text, Bild, Musik oder andere Medienformate. Sie kann Sprache verstehen und fast wie ein Mensch formulieren, während KI, wie wir sie kennen, häufig Daten analysiert, um Muster zu erkennen. Ein klassisches KI-System würde zum Beispiel Röntgenbilder analysieren, während Generative AI als Chatbot arbeiten und auf Patient:innen eingehen könnte.
Andrea Buzzi: Es ist also eine Technologie, die uns gerade besonders weit nach vorne bringt. Kann sie auch die Probleme in der Gesundheitsversorgung lösen?
Dr. Anita Puppe: Viele Probleme im Gesundheitswesen könnten durch GenAI verbessert werden, auch wenn die menschliche Interaktion und das ärztliche Wissen immer wichtig bleiben. GenAI hilft enorm bei Recherchen, der Erstellung von patientenfreundlichem Content und der Planung von Gesundheitsprozessen. Mit GenAI können wir Patient:innen besser über ihre Diagnose informieren und sie in ihrer „Patient Journey“ begleiten.
Einsatzgebiete für GenAI in der Praxis: Von Israel nach Deutschland
Andrea Buzzi: Hast du ein Beispiel für AI-Anwendungen, die hier schon genutzt werden?
Dr. Anita Puppe: Einiges! In Israel gibt es „Smart Fridges“ für Demenzpatienten, die Medikamente und Lebensmittel überwachen. Ein anderes Beispiel ist eine AI, die erkennt, wenn bestimmte Handlungen wie das Spülen der Toilette vergessen werden. Solche Lösungen entlasten Pflegekräfte und bieten Patient:innen eine echte Unterstützung im Alltag. Oder in Deutschland: Unsere AI „Jenny“ unterstützt Patient:innen bei chronischen Erkrankungen, indem sie sie an notwendige Maßnahmen erinnert und Fragen zu Symptomen beantwortet.
Andrea Buzzi: Auf LinkedIn hast du Quantencomputing erwähnt. Was ist das und wie kann es die Medizin verändern?
Dr. Anita Puppe: Quantencomputing ist noch neu und ermöglicht, enorm komplexe Berechnungen in kürzester Zeit zu lösen. Für die Medizin könnte das heißen, dass der klinische Prozess bei der Medikamentenentwicklung beschleunigt wird. Wir könnten schneller personalisierte Medikamente entwickeln und seltene Krankheiten gezielter behandeln. Das ist aber noch Zukunftsmusik.
Der Weg zur personalisierten Medizin
Andrea Buzzi: Wie weit sind wir von der personalisierten Medizin entfernt?
Dr. Anita Puppe: Personalisierte Medizin bedeutet, die beste Therapie für jede:n Patient:in zu finden. Aktuell bedeutet das vor allem, Patient:innen eine maßgeschneiderte Gesundheitsbegleitung zu bieten, die speziell zu ihrer Diagnose und ihren Lebensumständen passt. In Deutschland sind wir da noch nicht ganz angekommen, aber es gibt Fortschritte, etwa bei der Krebsbehandlung, wo die genetische Analyse des Tumors schon gezielt zur Therapiewahl beiträgt.
Generative AI in der Kommunikation: Entlastung für Kliniken
Andrea Buzzi: Du leitest GenAI-Workshops in Krankenhäusern. Was erlebst du dort?
Dr. Anita Puppe: Häufig sind die Kliniken noch zögerlich, wenn es um eine umfassende Smart-Hospital-Strategie geht. Viele setzen Lösungen nur in einzelnen Abteilungen ein. In unseren Workshops gehen wir gemeinsam mit Ärzt:innen und Krankenhausleitungen durch, welche „Pain Points“ sich am besten mit AI oder digitaler Unterstützung lösen lassen. Ein Beispiel sind Chatbots, die Patient:innen sofort beantworten können und so das Personal entlasten.
Andrea Buzzi: Gibt es Projekte mit IBM, die skeptische Zuhörer:innen davon überzeugen könnten, dass diese Technologien nicht nur Spielereien sind?
Dr. Anita Puppe: Ein gutes Beispiel ist unser „Validate“-Projekt. Wir arbeiten mit Kliniken in Israel, Spanien und Deutschland an einer „Predictive Stroke AI“. Das Ziel ist, jungen Ärzt:innen eine AI zur Seite zu stellen, die sie bei der Diagnosestellung eines Schlaganfalls unterstützt und die Patient:innen schnell zur optimalen Therapie führt. Diese AI wurde in verschiedenen kulturellen und organisatorischen Kontexten getestet und entlastet Ärzt:innen erheblich.
Das Krankenhaus der Zukunft: Eine Utopie?
Andrea Buzzi: Wann können wir realistisch mit einem „Krankenhaus der Zukunft“ rechnen?
Dr. Anita Puppe: In Deutschland brauchen wir sicher noch 15 Jahre. Aber das Krankenhaus der Zukunft sollte weit über die Technologie hinaus auch ein angenehmes Patientenerlebnis bieten. Patient:innen könnten schon vor dem Klinikbesuch Informationen erhalten, über digitale Patientenaufklärung Bescheid wissen und direkt zu ihren Terminen finden, ohne sich durch Papierkram kämpfen zu müssen. Für mich beginnt das Smart Hospital schon vor der Kliniktür.
Andrea Buzzi: Was sind die ersten Schritte auf dem Weg dorthin?
Dr. Anita Puppe: Krankenhäuser sollten eine langfristige Smart-Hospital-Strategie entwickeln und nicht nur punktuelle Technologien implementieren. Es ist auch wichtig, das Personal in den Transformationsprozess einzubeziehen und eine positive Erfahrung für alle zu schaffen. Nur so schaffen wir ein Krankenhaus der Zukunft, das Effizienz mit Menschlichkeit vereint.
Andrea Buzzi: Vielen Dank, Anita, für diesen spannenden Einblick. Dein Fokus auf die Patientenperspektive und eine pragmatische Digitalisierung des Gesundheitssystems ist inspirierend!
Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview beruht auf dem Podcast-Interview #105: Mit AI Geld sparen vom 25. April 2024, produziert von der PR-Agentur The Medical Network.