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Interoperabilität: §384 SGB V sowie die EU-Medizinprodukteverordnung definieren Interoperabilität wie folgt: „Interoperabilität bezeichnet die Fähigkeit von zwei oder mehr Produkten – einschließlich Software – desselben Herstellers oder verschiedener Hersteller,
a) Informationen auszutauschen und
b) die ausgetauschten Informationen für die korrekte Ausführung einer konkreten Funktion ohne Änderung des Inhalts der Daten zu nutzen und/oder
c) miteinander zu kommunizieren und/oder
d) bestimmungsgemäß zusammenzuarbeiten.“
Interoperabilität ist demnach ein Zustand/ein Setting, in dem elektronische Geräte und Software-Programme mit- und untereinander Daten/Informationen austauschen können. Ein Beispiel: Die Praxissoftware einer Gesundheitseinrichtung verarbeitet Daten von der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), die von einem Kartenlesegerät ausgelesen werden. Die eGK, das Lesegerät und die Software sind demnach interoperabel.
TI: TI steht für Telematikinfrastruktur. Die TI soll die zentrale Plattform für Gesundheitsanwendungen in Deutschland sein. Teil der TI sind Anwendungen wie die elektronische Patientenakte (ePA), die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), das E-Rezept, das Notfalldatenmanagement (NFDM), der elektronische Medikationsplan (eMP) und viele weitere. Zuständig für den Aufbau und den Betrieb der TI ist die gematik GmbH (siehe Frage 5).
Interoperabilität ist die entscheidende Grundlage der TI. Ohne interoperable Software und Schnittstellen wäre der Betrieb der Telematikinfrastruktur nicht möglich. Umgekehrt ist Interoperabilität ein Konzept, das völlig unabhängig von der TI existiert. Vereinfacht gesagt: Interoperabilität ist die Farbe, mit der die TI als Bild gemalt wird.
Ein Beispiel: Verschickt eine Praxis eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über die dafür vorgesehene Schnittstelle elektronisch an die Versicherung einer Patientin, dann hat dieser Vorgang innerhalb der TI stattgefunden. Möglich war er dadurch, dass die Daten und der Übertragungsweg interoperabel gestaltet sind.
Was heißt das konkret? Für Patient:innen sind Interoperabilität und TI eigentlich „unsichtbar“, trotzdem sind sie wesentliche Bestandteile des Versorgungssystems. Wann immer Patient:innen einen Service wie zum Beispiel E-Rezept, eAU oder ePA nutzen, wird das durch Interoperabilität ermöglicht und geschieht innerhalb der TI. Gleiches gilt für Ärzt:innen und medizinische Fachkräfte. Wird in einer Praxis eine Versichertenkarte elektronisch ausgelesen, funktioniert das nur, weil interoperable Schnittstellen und Software das möglich machen.
Grundsätzlich werden vier Ebenen der Interoperabilität unterschieden, die zum Teil aufeinander aufbauen.
1. Technische/strukturelle Ebene: Sie ist die Grundlage der Interoperabilität. Auf dieser Ebene wird die Infrastruktur bereitgestellt, die zur strukturierten Speicherung von Daten sowie zum Austausch von Informationen benötigt wird. Ein Beispiel: WLAN bzw. das mobile Datennetz (etwa 5G) ist die technische Voraussetzung für Interoperabilität von mobilen Geräten.
2. Syntaktische Ebene: Auf dieser Ebene werden Schnittstellen und Datenstrukturen definiert und Vorgaben zur Strukturierung von Datenübertragungen gemacht. Durch die definierten Strukturen werden Sender und Empfänger von Daten zweifelsfrei erkannt. Ein Beispiel: Die Adresszeile bei einer E-Mail folgt einer definierten Struktur. Daher kann eine Mail immer einem Empfänger zugeordnet werden.
3. Semantische Ebene: Sie bezieht sich auf gemeinsame Terminologien und die Vereinheitlichung
von Begrifflichkeiten in Form von Definitionsverzeichnissen. Dadurch werden Informationen von Sender und Empfänger gleich interpretiert. Ein Beispiel: In einem Krankenhaus wird eine Pflegediagnose gestellt, die direkt in das System einer Pflegeeinrichtung übertragen werden kann, da beide Systeme die gleichen Bezeichnungen verwenden. Die Prozessinteroperabilität ist damit vorhanden.
4. Organisatorische Ebene: Auf dieser Ebene wird Interoperabilität durch organisatorisches Management umgesetzt. Ein Beispiel: Die Geschäftsführung einer Einrichtung führt einen Messenger ein, den Mitarbeitende in der Kommunikation nutzen sollen. Diese Einführung muss organisiert werden – beispielsweise mit der Definition einer Roadmap und Mitarbeiterschulungen.
Für die Telematikinfrastruktur ist hauptsächlich die gematik GmbH zuständig. Sie entwickelt die technischen Spezifikationen von Datenformaten, Diensten und Komponenten der TI (z. B. der sogenannten Konnektoren für die Anbindung an die TI). Außerdem ist sie für die Zulassung der Dienste und Komponenten (z. B. der Konnektoren) zuständig. Gematik stand ursprünglich für „Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH“. Sie wird heute als „Nationale Agentur für Digitale Medizin“ bezeichnet. Die Gesellschaft wurde bereits 2005 mit mehreren Verbänden als Gesellschaftern gegründet. Hauptgesellschafter ist das Bundesministerium für Gesundheit, das 51 Prozent der Geschäftsanteile hält. Geschäftsführer ist der ehemalige Pharma-Manager Markus Leyck Dieken.
Die gematik GmbH definiert auch die Standards für Interoperabilität in Deutschland inklusive der notwendigen Spezifikationen. Das heißt, sie legt fest, welche Datenformate und Softwareprotokolle in der TI angewendet werden müssen und wie diese zu benutzen sind bzw. welche Schnittstellen sie haben müssen. Innerhalb der gematik fungiert dafür das siebenköpfige Expertengremium Interop Council als Kopf der nationalen Koordinierungsstelle. Ihm gehören folgende Experten an: Prof. Dr. Sylvia Thun, Dr. Susanne Ozegowski, Prof. Dr. Siegfried Jedamzik, Simone Heckmann, Prof. Dr. Martin Sedlmayr, Jörg Studzinski und Dr. Anke Diehl.
TI 2.0 bezeichnet die nächste Entwicklungsstufe der TI, die 2025 eingeführt werden soll. Mit der TI 2.0 sollen zunächst die Konnektoren wegfallen. Der Zugriff auf die TI soll dann über direkte Schnittstellen ohne zwischengeschaltetes Gerät (Konnektor) funktionieren.
Laut der gematik GmbH wird die TI 2.0 auf sechs Säulen aufbauen:
1. Einem föderierten Identitätsmanagement: Leichtere Identifikationsverfahren als aktuell für Leistungserbringer (Praxen etc.) und Leistungsnehmer (Versicherte).
2. Der universellen Erreichbarkeit der Dienste: Es soll keine spezielle Hardware (z. B. Konnektor) mehr notwendig sein.
3. Einer modernen Sicherheitsarchitektur
4. Verteilten Diensten: Das heißt nichts anderes, als dass Daten
aus verschiedenen Quellen (automatisch) verknüpft werden können.
5. Interoperabilität und strukturierten Daten: Gesundheitsdaten sollen nach bestimmten Standards erfasst werden und über interoperable, standardisierte Schnittstellen geteilt werden können – zum Beispiel zu Forschungszwecken.
6. Einem automatisiert verarbeitbaren Regelwerk der TI: Das soll eine automatisierte Überprüfung beispielsweise neuer Software-Lösungen auf die Vorgaben der TI 2.0 hin ermöglichen.
Aktuell ist eine Anbindung an die Telematikinfrastruktur ausschließlich über einen sogenannten Konnektor möglich. Dabei handelt es sich um eine spezielle, von der gematik geprüfte Hardware-Komponente, die Chips – etwa von elektronischen Gesundheitskarten oder Heilberufsausweisen – auslesen kann. Der Konnektor kann sich physisch in der Gesundheitseinrichtung, also beispielsweise einer Hausarztpraxis, befinden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sich an eine sogenannte Konnektorfarm (Rechenzentrum mit mehreren Konnektoren) anzuschließen. Der Konnektor wird dann von der Praxis aus über das Internet angesteuert.
Damit sind die technischen Voraussetzungen für die TI-Anbindung erfüllt. In der Folge können Gesundheitseinrichtungen verschiedene Anwendungsmöglichkeiten der TI mit darauf abgestimmten Software-Lösungen nutzen.
Streitthema Konnektortausch: In den letzten Monaten war in der Presse häufig vom sogenannten Konnektortausch die Rede, wenn es um die Telematikinfrastruktur ging. Hintergrund: Die Konnektoren aller Hersteller sind mit Sicherheitszertifikaten ausgestattet, die nach fünf Jahren ihre Gültigkeit verlieren. Das Thema hat viel Aufmerksamkeit seitens der Kassenärztlichen Verbände, der gematik GmbH und der Hersteller erhalten, nachdem IT-Experten (unter anderem des Chaos Computer Clubs) nach eigenen Aussagen die Zertifikate erneuern bzw. verlängern konnten. Die gematik hatte allerdings in einer Gesellschafterversammlung beschlossen, dass die Konnektoren mit auslaufenden Zertifikaten gegen neue Konnektoren getauscht werden. Dieser Tausch soll die Versicherten laut verschiedenen Quellen zwischen 300 und 400 Millionen Euro kosten, während eine Erneuerung/Verlängerung der Zertifikate offenbar deutlich kostengünstiger wäre. Beide Seiten haben zahlreiche Argumente für ihre Position (pro bzw. kontra Konnektortausch) vorgebracht. Die Entscheidungsbefugnis liegt bei der gematik GmbH.
Die Strategien zur Herstellung von Interoperabilität müssen sich an den Anforderungen an ein bestimmtes System, an den vorhandenen Hardware- und Software-Komponenten und vor allem an den Daten, die verarbeitet werden müssen, ausrichten. In der praktischen Umsetzung gibt es jedoch bewährte Vorgehensweisen, die weitgehend übertragbar sind.
So sieht der Aufbau interoperabler Systeme in der Praxis häufig aus:
1. Grundlagen schaffen: Die Beteiligten werden zunächst mit dem Thema vertraut gemacht.
2. Status quo analysieren: Eine Übersicht der anzupassenden technischen
und organisatorischen Strukturen wird erstellt, gesetzliche und regulatorische Anforderungen werden erfasst.
3. Strategie entwickeln: Dies geschieht in der Regel anhand der
Planung und Priorisierung von Use Cases.
4. Strategie umsetzen: Dafür ist eine genaue Kenntnis darüber,
welche Daten in welchen Systemen vorhanden sind und welche Möglichkeiten
bestehen, diese interoperabel auszutauschen, notwendig.
5. Anpassungen in den laufenden Betrieb überführen: Ab hier muss die Einhaltung der Standards engmaschig überwacht werden. Bei Änderungen der Vorgaben müssen die Systeme auf die neuen Standards und/oder Schnittstellen umgestellt werden.
Der Europäische Gesundheitsdatenraum (european health data space, kurz: EHDS) wurde von der EU-Kommission auf den Weg gebracht und ist einer der zentralen Bausteine einer europäischen Gesundheitsunion. Wesentlich für den EHDS ist die Erfassung von Gesundheitsdaten nach einem europaweiten Standard, um die entsprechenden Daten europaweit für die Primärnutzung (patientenbezogen) und die Sekundärnutzung (forschungsbezogen) zugänglich zu machen. Die EU-Kommission verfolgt damit mehrere Ziele. Sie
– „unterstützt Einzelpersonen dabei, die Kontrolle über ihre eigenen Gesundheitsdaten zu bewahren,
– fördert die Nutzung von Gesundheitsdaten für eine bessere medizinische Versorgung, für Forschung, Innovation und Politikgestaltung,
– und ermöglicht es der EU, das Potenzial von Austausch, Nutzung und Weiterverwendung von Gesundheitsdaten unter gesicherten Bedingungen voll auszuschöpfen.“
HL7 (Health Level 7) bezeichnet ein Set internationaler Standards für den elektronischen Austausch von Daten im Gesundheitswesen. Die Förderung und Verbreitung der Standards wird von sogenannten HL7-Landesvertretungen (z. B. HL7 Deutschland) übernommen. Davon existieren weltweit rund 40.
Der wichtigste von HL7 ausgearbeitete internationale Standard, der beispielsweise in den USA und Israel weit verbreitet ist, heißt „Fast Healthcare Interoperability Resources“ (FHIR). Der Fokus liegt dabei auf einer einfachen Implementierung.
Weitere Datenformate, die im (internationalen) Gesundheitswesen häufig genutzt werden, sind:
IHE ITI: Datenübertragung in Netzwerken
HL7 v.2: Schnittstellen-Autorisierung
DICOM: Bilddatenmanagement
xDT: Geräteanbindung
CDA: Austausch und Speicherung klinischer Inhalte
Whitepaper der gematik GmbH zur TI 2.0
EU-Verordnung zu Interoperabilität
Deloitte-Paper „Interoperabilität im Gesundheitswesen“
Der Europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS)
FAQ der gematik GmbH zum Konnektortausch
Pressemitteilung der gematik GmbH zum Konnektortausch
Chaos-Computer-Club-Statement zum Konnektortausch
Wikipedia-Artikel über die Telematikinfrastruktur
Wikipedia-Artikel über Interoperabilität
„E-Health Pioneers“-Podcast-Folgen zum Thema Interoperabilität/Telematikinfrastruktur: